Bernhard Schreiber, Der Artenrückgang der Spermathophyten und Pteridophyten im Nahe-Hunsrück-Gebiet, Mainz 1988
6.15 Problembeispiel 15
Dörrebachtal bei Stromberg
Vegetationsaufnahmen: 31.1 – 31.2
Bodenanalysen: 68 und 69
Floristische Raritäten
Bromus ramosus ssp. Benekenii 1983 Schreiber
Rauhe Wald-Trespe
Hf8 Hh3 GRhPf-
L5 T5 K4 F5 R8 N5 S- Lebensform: Hemikryptophyt
Soziol.: 8.43 = Fagetalia Geoel.: gemäßkont
Campanula latifoglia 1983 Schreiber
Breitblättrige Glockenblume
Hf3 Hh3 GRhPf-
L4 T5 K5 F6 R8 N8 S- Lebensform: Hemikryptophyt
Soziol.: 8.43 = Fagetalia Geoel.: nosubozean-pralp
Cephalanthera damasonium 1983 Schreiber
Weißes Waldvöglein
Hf2 Hh3 GRhPf-
L2 T5 K2 F4 R7 N4 S- Lebensform: Geophyt
Soziol.: 8.431.3 = Cephaloanthero-Fagion Geoel.: smed-subatl
Cephalanthera longifolia 1982 Schreiber
Schwertblättriges Waldvöglein
Hf4 Hh3 GRhPf-
L4 T5 K3 F3 R8 N3 S- Lebensform: Geophyt
Soziol.: 8.4 = Querce-Fagetea Geoel.: smed-eurassuboz
Lathyrus vernus 1971 Korneck
Frühlings-Platterbse 1979 Blaufuß
Hf2 Hh1 GRhPf- 1982 Schreiber
L4 Tx K4 F4 R7 Nx S- Lebensform: Geophyt, Hemikrypt.
Soziol.: 8.43 = Fagetalia sylvaticae Geoel.: gemäßkont
Neottia nidus-avis 1983 Schreiber
Nestwurz
Hf7 Hh3 GRhPf-
L2 T5 K4 F5 R7 N5 S- Lebensform: Geophyt / Saprophyt
Soziol.: 8.43 = Fagetalia Geoel.: euras(suboz)-smed
Paris quadrifolia 1982 Schreiber
Einbeere
Hf8 Hh3 GRhPf-
L3 Tx Kx F6 R7 N7 S- Lebensform: Geophyt
Soziol.: 8.43 = Fagetalia Geoel.: euras(suboz)-no
Primula elatior 1982 Schreiber
Große Schlüsselblume
Hf4 Hh3 GRhPf-
L7 Tx K4 F6 R7 N7 S- Lebensform: Hemikryptophyt
Soziol.: x = gesellschaftsvag Geoel.: subatl-smed
Pulmonaria obscura 1982 Schreiber
Dunkles Lungenkraut
Hf3 Hh3 GRhPf-
L4 T5 K3 F6 R8 N7 S- Lebensform: Hemikryptophyt
Soziol.: 8.43 = Fagetalia Geoel.: gemäßkont
Senecio helenites 1978 Dr. Lorenz
Spatelblättriges Greiskraut 1978 Blaufuß
Hf5 Hh1 GRhPf2
L7 T6 K2 F7~ Rx N2 S- Lebensform: Hemikryptophyt
Soziol.: 5.411 = Molinion Geoel.: subatl.
Senecio nemorensis 1983 Schreiber
Hain-Greiskraut
Hf? Hh3 GRhPf-
L7 T3 K7 F6 Rx N8 S- Lebensform: Hemikryptophyt
Soziol.: 6.31 = Adenostyletalia Geoel.: praealpin (-no)
Im Nahe-Hunsr.-Geb.: Aceri-Fagetum u.
Tilio-Acerion
Veronica montana 1983 Schreiber
Berg-Ehrenpreis
Hf2 Hh3 GRhPf-
L4 T5 K2 F7 R5 N6 S- Lebensform: Chamaephyt
Soziol.: 8.43 = Alno-Ulmion Geoel.: subatl-smed
Bromus ramosus ssp. Benekenii 1983 Schreiber
Rauhe Wald-Trespe
Hf8 Hh3 GRhPf-
L5 T5 K4 F5 R8 N5 S- Lebensform: Hemikryptophyt
Soziol.: 8.433 = Fagetalia Geoel.: gemäßkont
Viola mirabilis 1977 Korneck
Wunder-Veilchen 1977 Dr. Lorenz
Hf0 Hh1 GRhPf- 1979 Blaufuß
L4 T5 K4 F4 R8 Nx S- Lebensform: Hemikryptophyt
Soziol.: 8.4 = Querce-Fagetea Geoel.: gemäßkont
Im Stadtgebiet von Stromberg mündet der Dörrebach in den Guldenbach. Kurz vor seiner Mündung hat sich der Dörrebach 120m tief in die devonischen Riffsteinkalke westlich von Stromberg eingeschnitten und dabei ein malerisches Kerbtal mit anstehenden Kalkfelsen geschaffen. Da der Dörrebach nur im Winter und Frühjahr in seinem Bachbett fließt, handelt es sich bei diesem Kerbtal um ein periodisch Wasser führendes Trockental. Mit einer Länge von 1,5 km ist es das längste Trockental des Nahe-Hunsrück-Gebietes und stellt somit eine geomorphologische Besonderheit dar.
Auch die Pflanzengesellschaften und die Flora des Dörrebachtales sind bemerkenswert. Am Talgrund, d.h. in dem Bereich des Kerbtales, wo die höchste Luftfeuchte und die geringste Insolation zu registrieren ist, wächst ein Ahorn-Eschen-Wald (Aceri Fraxinetum). Diese Waldgesellschaft wird den Schluchtwäldern (Tilio-Acerion) zugerechnet. An den Talhängen stockt ein Laubmischwald, der vor einigen Jahrzehnten noch in Niederwaldwirtschaft genutzt wurde. Mittlerweile sind die kräftigsten Stämme der alten Stockausschläge am Durchwachsen, während die schwächeren teilweise abgestorben sind. Eine Nutzung dieses Waldes, welcher der Stadt Stromberg gehört, findet zur Zeit nicht statt. Pflanzensoziologisch handelt es sich um einen Waldvöglein-Rotbuchenwald (Cephalanthero-Fagetum), der sich mosaikartig mit einem Waldlabkraut-Eichen-Hainbuchenwald (Galio-Carpinetum) verzahnt. Beide Waldgesellschaften bevorzugen kalkhaltigen bzw. basischen Untergrund. Insbesondere das Cephalanthero-Fagetum stellt eine der pflanzensoziologisch wertvollsten Waldgesellschaften dar.
Der Wald im Dörrebachtal zeichnet sich durch eine große Vielfalt an Bäumen und Sträuchern aus. Insgesamt konnten 27 verschiedene einheimische Holzgewächse festgestellt werden. Ein solcher Artenreichtum steht in einem deutlichem Gegensatz zu forstlich intensiv bewirtschafteten Wäldern. Auch die Krautschicht ist im Dörrebachtal mit mindestens 66 Spezies ausgesprochen artenreich.
Der botanische Wert des Waldes im Dörrebachtal spiegelt sich jedoch besonders in seinen floristischen Raritäten wider. So befindet sich hier jeweils der einzige Wuchsort der Frühlings-Platterbse (Lathyrus vernus), des Spatelblättrigen Greiskrauts (Senecio helenites) und des Wunder-Veilchens (Viola mirabilis) im Nahe-Hunsrück-Gebiet. Hinzu kommen noch vier verschiedene Orchideen sowie sechs weitere im Untersuchungsraum seltene Pflanzenarten.
Beeinträchtigt wird das Bachbett und der südexponierte Hangbereich zwischen der von Stromberg nach Dörrebach führenden Kreisstraße IB-L242 und dem Bachbett durch unberechtigt abgelagerten Müll. So konnten während der Geländebegehungen größere Mengen an Kraftfahrzeug- und Maschinenschrott, Autofelgen, Metallfässer bzw. –tonnen, Autoreifen, alte Kleidungsstücke, emaillierte Schüsseln, Metalltöpfe, Zinkeimer, Getränkebüchsen, ein Stahlträger, ein Radiogerät, zahlreiche Plastiksäcke, blau und orange lackierte Holzpfähle und im oberen Bereich des Tales Bauschutt festgestellt werden. Zwischen dem 10. und dem 16.5.1982 wurden größere Ölmengen in das Bachbett eingeleitet. Da das Dörrebachtal gelegentlich als Abfalldeponie missbraucht wird, ist es nicht verwunderlich, dass die Auenböden dieses Tales eine erhebliche Schwermetallbelastung aufweisen (1). Insbesondere die Blei-, Cadmium-, Zink-, Nickel- und Kobaltwerte zählen zu den höchsten Werten, die im Rahmen dieser Untersuchung im Nahe-Hunsrück-Gebiet gemessen wurden (2). Die Schwermetallkonterminationen werden nicht nur durch den oben beschriebenen Unrat verursacht. Da drei Abschlagsgräben die Abwasser der hangparallel verlaufenden Straße direkt ins Bachbett ableiten, ist ein Teil des Blei-, Cadmium- und Zinkanreicherungen auf den Straßenverkehr zurückzuführen. Da die Gemeinde Dörrebach nur über eine mechanische Einzelkläranlage verfügt, dürfte ein Teil der Schadstoffbelastungen auch auf häusliche Abwasser dieses Dorfes zurückzuführen sin. Dafür spricht auch der hohe Gehalt an pflanzenverfügbarem Phosphat (245ppm P2 O 5) in den Auenböden, der wesentlich über demjenigen der Braunerde am Talhang (7ppm P2 O 5) liegt (3). Allerdings geht der hohe Phosphatgehalt sicherlich nicht nur auf kommunale Abwässer, sondern auch auf Bodenabschwemmungen phosphatgedüngter landwirtschaftlicher Nutzflächen zurück, von denen vorwiegend Wiesen, aber auch einige Äcker, im Einzugsbereich des Dörrebaches liegen. Demgegenüber sind die hohen Mangangehalte geogenen Ursprungs. Bei Waldalgesheim förderte noch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein mittlerweile stillgelegtes Bergwerk Mangan aus den devonischen Kalken.
Eine im Vergleich zu den beschriebenen Umweltbelastungen wesentlich größere Gefahr droht dem Dörrebachtal durch die Nutzungsansprüche der Kalksteinindustrie. "Das Kalkwerk Stromberg gehört seit 80 Jahren zum Lebensraum der Stadt", schrieb am 30.8.1978 die Kreuznacher Allgemeine Zeitung. Bereits 1907 existierten en mittelgroßer und zwei kleinere Steinbrüche im Guldenbachtal nördlich der Stadt Stromberg sowie sieben kleinere Steinbrüche im Dörrebachtal direkt oberhalb der Straße nach Dörrebach (4). Auf der Karte Doerbach von 1811/12 (5) lassen sich keine Steinbrüche im eigentlichen Dörrebachtal erkennen, doch ist die Darstellung dieses Tales und des nordostexponierten Hanges des Guldenbachtales durch eine sehr intensive Schummerung undeutlich.
Auf dem Riedel westlich des Gollenfels ist ein Grubenfeld eingezeichnet. Ferner sprechen drei Kalköfen (Four à Chaux) im Dörrebachtal dafür, dass bereits zur Zeit Napoleons Kalk gewonnen und gebrannt wurde.
Im Verlauf des 20. Jahrhunderts wuchsen die Steinbrüche am Nordhang des Dörrebachtales und am Nordwesthang des Guldenbachtales zu einem großen Steinbruch von 900m Länge, 150m – 400m Breite und bis zu 80m Abbautiefe zusammen. Dieser trennt die Burg Gollenfels, die auf einem Sporn direkt nördlich der Dörrebachmündung lag, von ihrem Hinterland ab. Die Burg selbst entging dem Abbau, weil sich die Stadt Stromberg und die Kalksteinfirma 1955 auf ihre Erhaltung einigten.
Die obere Hälfte des südexponierten Dörrebachtalhanges ist mittlerweile vollständig abgebaut, und die Abbbausohle erreichte 1976 mit 221,5m eine Tiefe, die 30m unter derjenigen des Dörrebaches liegt.
Angesichts des massiven Vordringens des Steinbruches versuchten bereits 1954 Naturschützer und Stromberger Fremdenverkehrsvertreter das Dörrebachtal vor einem weiteren Abbau zu schützen. Herr Apotheker Reuland, Versitzender des Verkehrsvereines Stromberg, stellte am 16.12.1954 den Antrag, das Dörrebachtal "wegen der Schönheit des Tales" unter Naturschutz zu stellen. Ein biologisches oder geologisches Gutachten, wie dies heute bei einer Antragsstellung selbstverständlich ist, fehlte seinem Antrag.
Verständlicherweise erhob die damalige Besitzerin der Stromberger Kalkwerke, die Firma Gebrüder Wandesleben, Einspruch (am 22.1.1955), da es sich beim Dörrebachtal um ein potentielles Abbaugebiet handelt. Die Kalksteine der Lagerstätte Stromberg gelten als qualitativ hochwertige Steine, die als Rohstoffgrundlage für verschiedene industrielle Bereiche, insbesondere für die Eisen- und Stahlindustrie, für die chemisch-pharmazeutische Industrie und für die Baustoff- und Bauwirtschaft, dienen.
Auch der Stadtrat der Stadt Stromberg, die Besitzerin des Waldes im Dörrebachtal ist, hatte Bedenken, obwohl er grundsätzlich für eine Unterschutzstellung war. So heißt es in einem Schreiben der Stadt Stromberg, das dem Landratsamt Bad Kreuznach im ersten Quartal des Jahres 1955 zugestellt wurde: "Der Bürgermeister betonte ferner, dass die Forderung des Fremdenverkehrs in Stromberg ein besonderes Anliegen der Stadt sei, dass aber die Bedeutung der verschiedenen Faktoren im Wirtschaftsleben Strombergs in ihrer richtigen Rangordnung gesehen werden müsse. In dieser Schau sei die Bedeutung der Stromberger Industrie als Brotgeber der Bevölkerung und Steuerzahler der Stadt vorherrschend. Dieser Ansicht schließt sich die Stadt Stromberg an."
Da es sich bei dem Schreiben der Stadt Stromberg um keinen Einspruch handelte, blieb die Haltung der Stadt und der Sinn ihres Schreibens unklar. Deshalb leitete das Landratsamt das Unterschutzstellungsverfahren ein, indem es am 2.5.1955 die "Bekanntmachung über die beabsichtigte Unterschutzstellung des "Gollenfels mit Schloss sowie eines Landschaftsteiles im Dörrebachtal"" für 2 Wochen zur öffentlichen Einsichtnahme auslegte.
Die Stadt Stromberg erhob nun beim Landratsamt offiziell Einspruch, da das förmliche Verfahren eingeleitet wurde, ohne auf ihre Vorschläge einzugehen. Man fühlte sich offensichtlich übergangen. Auch die Firma Wandesleben legte am 11.6.1955, also mehr als drei Wochen nach Ablauf der Einspruchsfrist, Widerspruch ein. Sie argumentierte bzw. drohte, dass "200-250 Menschen ihren Arbeitsplatz verlieren würden."
Das Landratsamt, anscheinent verärgert darüber, dass ihm die Stadt Stromberg in den Rücken fiel, fand eine Möglichkeit , wie es sich der unangenehm werdenden Angelegenheit elegant entledigen konnte und fasste einen für das Dörrebachtal folgenschweren Entschluss, den es am 21.6.1955 der Amtsverwaltung Stromberg wie folgt mitteilte: "Die mit Bezugsverfügung zur öffentlichen Auslegung übersandte Bekanntmachung über die beabsichtigte Eintragung eines Naturdenkmales in das Naturdenkmalbuch sowie eines Landschaftsteiles in die Landschaftsschutzkarte des Kreises Kreuznach wird hiermit aufgehoben, da der zu schützende Landschaftsteil in welcher der Bekanntmachung beiliegenden Skizze unzureichend gekennzeichnet ist."
Nur zwei Tage später konterte die Stadt Stromberg und drückte in einem Schreiben an das Landratsamt "ihr Befremden über dieses Vorgehen aus". Ferner kritisierte se nochmals die nicht stattgefundene gemeinsame Ortsbegehung.
Das Beispiel verdeutlicht, dass im Kompetenzgerangel einiger Bürokraten um ihre Zuständigkeit der Naturschutz auf der Strecke blieb.
Noch im gleichen Jahr einigten sich, wie bereits oben erwähnt, Stadt und Firma wenigstens auf den Erhalt der Burg Gollenfels, womit den Fremdenverkehrsinteressen Strombergs Genüge getan wurde. Eine Entscheidung über das gesamte Dörrebachtal wurde nicht getroffen.
Das Verfahren für die Unterschutzstellung wurde 1956/57 nochmals aufgenommen. Es fanden mehrere Ortsbegehungen statt, an denen Vertreter der Oberen Naturschutzbehörde Koblenz, der Stadt Stromberg und der Unteren Naturschutzbehörde des Landratsamtes Bad Kreuznach teilnahmen. Am 15.3.1957 wurde das Verfahren endgültig eingestellt, mit der Auflage der Oberen Naturschutzbehörde an das Landratsamt "weiterhin die Entwicklung zu beobachten, damit Überraschungen ausgeschlossen sind."
1971 teilte die Verbandsgemeinde Stromberg dem Landratsamt mit, dass das Kalkwerk Stromberg vom Steinbruch Gollenfels einen Durchbruch zur Dörrebacher Straße beabsichtigt. In den folgenden Jahren stellte es sich heraus, dass die Reinisch-Westfalischen Kalkwerke, die mittlerweile das Werk übernommen hatten, den vollständigen Abbau der östlichen Hälfte des Dörrebachtales planten. Am 29.7.1975 lehnte das Staatliche Gewerbeaufsichtsamt Idar-Oberstein die Ausweitung des Steinbruchs in Richtung Osten und Süden ab, da es sich nach seiner Meinung um eine wesentliche Änderung im Sinne der Abbauvorschriften handeln würde. Auch die Rolf Peltzer KG, Planer und Träger des südlich des Dörrebachtales geplanten und mittlerweile realisierten Feriengebietes "Schindeldorf", intervenierte gegen eine Ausweitung des Steinbruches über die Straße Stromberg-Dörrebach, da ein Kalkabbau direkt am Nordrand des Feriendorfes, dieses wesentlich in seinem Erholungswert beeinträchtigt oder seine Errichtung sogar finanziell unrentabel gemacht hätte.
Die Stromberger Kalkwerke legten im September 1975 detaillierte Planungen zum Abbau und zur späteren Rekultivierung des Dörrebachtales vor. Danach sollte die Straße und der Bach um rund 150m – 170m, ab der oberen Straßenbrücke an der Gaststätte bis etwa 100m unterhalb der hölzernen Wanderbrücke im mittleren Bereich, nach Süden verlegt werden. Bei einer geplanten Abbautiefe bis auf 197m.ü.NN. würde der Dörrebach in der Endphase des Abbaus in einem künstlichen Bachbett 70m bis 80m über der Abbausohle, annähernd hangparallel an der südlichen Steinbruchwand entlang geführt werden. Nach Abschluss der Kalksteingewinnung im Steinbruch Gollenfels, der, bei einem Beginn der Rodungsarbeiten 1081/82, für 2012 prognostiziert war, würde sich auf der Steinbrauchsohle ein See bilden, da der Grundwasserspiegel bei +229m bis +227m ü.NN. angeschnitten werden würde. Die Höhendifferenzen des neuen Dörrebachbettes zum Seespiegel beträgt dann, nach Einstellung der Abbauarbeiten, nur noch 40m bis 50m.
Die Totalzerstörung eines der biologisch wertvollsten Taler des Nahe-Hunsrück-Gebietes wird in den Planungen des Kalkwerkes wie folgt dargestellt: "Umrahmt vom vorhandenen Waldbestand und den in die Waldlandschaft integrierten, wieder begrünten Abraumhalden werden sich in und um die ehemaligen Steinbrüche zwei Wald- und Felsbiotope bilden, die kesselförmig einmal ein naturnahes Gewässer und zum anderen einen aufgelandeten, wieder begrünten Klarteich umschließen: hier ist Lebensraum für eine artenreiche Pflanzenwelt und ein Refugium für vielfältige Tiergattungen gegeben. Durch ein verbleibendes Wegesystem könnte das Steinbruchumland in die Erholungsfunktion des Stromberger Raumes eingefügt werden."
Aus einem kerbtalförmigen Trockental mit einem Ahorn-Eschen-Schluchtwald und einem Orchideen-Rotbuchen/Eichen-Hainbuchen-Mischwald sollen demnach wassergefüllte Felsenkessel werden. Bei einem solch massiven Eingriff würde nicht nur das Landschaftsbild vollkommen verändert werden, sondern auch durch die radikale Veränderung der geoökologischen Bedingungen alle seltenen Pflanzenarten des Dörrebachtales vernichtet werden, da sie in den neu entstehenden Biotopen nicht existenzfähig wären. Andere seltene Pflanzen werden sich in den neu entstehenden Felsbiotopen nicht einstellen, da die nächsten entsprechenden Biotope viele Kilometer entfernt liegen und somit ein natürliches Einwandern dieser Arten nicht möglich ist. Außerdem ist es nicht erstrebenswert, ein einmaliges Ökotop durch ein anderes mit einem vollkommen unterschiedlichen Charakter zu ersetzen.
Im Dezember 1978 schrieb Herr Dr. Sperber (Landesamt für Umweltschutz, Oppenheim) eine Stellungnahme zu den oben beschriebenen Planungen. Er meldete erhebliche Bedenken aus landespflegerischer Sicht an und machte zahlreiche Auflagen bezüglich der Rekultivierung des zukünftigen Steinbruches. Unter anderem sollten die Bermen nicht einfach stehen gelassen, sondern abgerundet werden, der Steinbruch sollte kleinräumig zergliedert, der Verlauf des Baches nur auf kürzerer Strecke künstlich verlegt und die Straßenführung besser eingepasst werden. Erstaunlicherweise lehnte er das Projekt nicht insgesamt ab. Anscheinend war dem Landesamt für Umweltschutz zum damaligen Zeitpunkt, vor der Durchführung der Biotopkartierung, der hohe botanische Wert des Dörrebachtales nicht bekannt.
Um die Bedenken der Stadt Stromberg bezüglich einer Beeinträchtigung des Tourismus zu zerstreuen, hatten die Rheinisch-Westfälischen-Kalkwerke zwischenzeitlich ein klimatologisches Gutachten in Auftrag gegeben, das am 30.1..1977 abgeschlossen wurde. Der Gutachter Dr. Manfred Laube, vom Institut für Geophysik und Meteorologie der Universität Köln, kam zu dem Ergebnis, dass der Abbau des westlich der Stadt gelegenen Dörrebachtales keine klimatologischen Beeinträchtigungen für die Stadt bringen würde. Unter Punkt 3.1 seines Gutachtens zieht er für Westwindwetterlagen, die in Stromberg dominieren, folgendes Fazit: "Das Dörrebachtal wird also auch mit dem Tagebau bis auf sicherlich nicht messbare Unterschiede gegen heute seine Funktion beibehalten (6)." Punkt 3.2 behandelt die zu erwartenden Auswirkungen bei Schwachwindwetterlagen und Windstille: "Die Folge des Tagebaus wird sein, dass das Talwindsystem des Dörrebachtals in der gleichen Weise aufrechterhalten wird wie heute mit dem Unterschied, dass die in Richtung Stromberg abfließende Luft etwas wärmer sein wird als heute. Für den Tagebau selbst ergibt sich eine erhöhte Nachtfrostgefährdung."
Berücksichtigt sind in dem Gutachten nur die Windströmungsverhältnisse. Der Waldverlust und seine klimatologischen Auswirkungen sowie die bei Westwinden zu erwartende hohe Kalkstaubbelastung für die Stadt bleiben unerwähnt.
Der Konflikt um das Dörrebachtal zwischen Kalksteinindustrie und Fremdenverkehr spitzte sich 1978 zu. In ihrer Ausgabe vom 30.8.1978 zog die Kreuznacher Allgemeine Zeitung eine aufschlussreiche Bilanz und stellte die unterschiedlichen Interessen und Argumente, von denen im folgenden die wichtigsten zitiert werden, gegeneinander: "Das Werk Stromberg gibt Arbeit und Brot für 104 Familien.... Seit 1970 wurden 20 Millionen Mark in das Werk investiert. ...Ein Landesgutachten besagt, dass Stromberg das letzte abbauwürdige Kalkgestein links des Rheins sei. ...Der Fortbestand des DRK-Kurhauses (im unteren Dörrebachtal) sei durch den Abbau bedroht. Die unberührte Umgebung muss nach Ansicht von DRK-Landesgeschäftsführer Georg Mühlbauer erhalten bleiben. ...Ins Kurhaus wurden in den letzten Jahren 2 Millionen Mark investiert und weitere 500.000 DM sollen im Herbst folgen. 20 Arbeitsplätze sind im Kurhaus vorhanden. Auch das Alten- und Pflegeheim "Haus Obentraut" (28 ständige Arbeitsplätze + Teilzeitkräfte) wird in Mitleidenschaft gezogen (7). Auch dort fanden Investitionen von 2 Millionen Mark in den letzten Jahren statt." Im gleichen Zeitungsartikel wird mitgeteilt, dass im jetzigen Abbaubereich Gollenfels noch für zehn Jahre und im Hunsfelsen (8) ebenfalls für weitere zehn Jahre Abbau möglich ist. Ferner wird von Grundstücksveräußerungen an eine holländische Schwesterfirma berichtet.
Ende 1978 entschied sich der Stadtrat einstimmig, bei zwei Enthaltungen, für den Erhalt des Dörrebachtales und somit für den Fremdenverkehr und gegen die Kalksteinindustrie. Der stadteigene Wald wurde nicht verkauft. Die RWK bezeichnete die Entscheidung des Stadtrates in einem Schreiben vom 1.2.1979 an die Kreisverwaltung als eine "nicht zu verantwortende Entscheidung im volkswirtschaftlichen Sinne."
Nennenswerten Fremdenverkehr gibt es in Stromberg seit den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts (9). Die Stadt Stromberg ist ein staatlich anerkannter Fremdenverkehrsort und in der "Liste der Kurorte, Erholungsorte und Fremdenverkehrsorte von Rheinland-Pfalz nach dem Landesgesetz über die Anerkennung von Kurorten, Erholungsorten und Fremdenverkehrsorten vom 21.12.1978 (Gesetz- und Verordnungsblatt Rhl.-Pfalz, S. 745)" vertreten. Die Bezeichnung Luftkurort, den sich die Stadt, wie dies früher üblich war, selbst verliehen hatte, darf sie, seitdem es sich dabei um ein offizielles Prädikat handelt, nicht mehr führen. Allerdings haben die Stromberger Stadtväter mehrmals versucht, diesen Titel offiziell verliehen zu bekommen. Den letzen "Antrag auf Fortführung der Artbezeichnung Luftkurort", wie es in der Amtssprache heißt, stellte die Stadt Stromberg 1979, d.h. kurz nach ihrer Entscheidung für den Erhalt des Dörrebachtales. Ihm wurde nicht stattgegeben. Seitdem wurden keine Anträge mehr gestellt, weil es nach dem jetzigen Landesgesetz über Luftkurorte nahezu unmöglich für Stromberg ist, diese Anerkennung zu erhalten, da zu viele Auflagen nicht erfüllt werden können (9).
Die Entwicklung der Fremdenverkehrszahlen zeigt seit 1970 einen negativen Trend, der somit im umgekehrten Verhältnis zur Ausdehnung des Kalksteinbruches steht. Während die Stadt Stromberg 1970 noch 41.206 Übernachtungen verbuchen konnte, sanken die Übernachtungszahlen über 22.285 im Jahre 1980 auf lediglich 4.681 im Jahre 1984 ab (10). Ein Jahr zuvor hatte das DRK-Kurhaus, das an die Landesversicherungsanstalt verpachtet war, seine Pforten geschlossen, wodurch die Bettenzahl Strombergs um 90 zurückging (11). Der aus Sicht der Stadt Stromberg erfreuliche Wiederanstieg 1986 auf 16.041 Übernachtungen dürfte auf das neue Hotel in der Stromburg (43 Betten) sowie auf vermietete Ferienhäuser im Wohn- und Freizeitpark Schindeldorf zurückzuführen sein. Die im Besitz der Stadt Stromberg befindliche Stromburg war mit einer erheblichen Kostenbeteiligung der Stadt zwischen 1978 und 1981 restauriert worden und danach an einen Restaurations- und Hotelbetrieb der gehobeneren Klasse verpachtet worden. Für den Wohn- und Freizeitpark Schindeldorf, der sich in Privatbesitz befindet, hatte die Stadt Gelände verkauft, um die Errichtung des exklusiven Feriendorfes zu unterstützen. Das Schindeldorf ist u.a. ausgestattet mit einer Reit- und einer Tennishalle, beheiztem Höhenschwimmbad, 18-Loch-Golf-Anlage und einem Bogenschießplatz. Ursprünglich sollten hier nur Ferienhäuser errichtet werden, doch befinden sich heute auch zahlreich Dauerwohnsitze in dem landschaftlich attraktiv gelegenen Feriendorf.
Man muss der Kleinstadt Stromberg (12) bescheinigen, dass sie sich um die Förderung des Fremdenverkehrs und um ihr eigenes Image als historische Stadt sehr bemüht. Dafür spricht auch die ansprechend aufgebaute Informationsmappe (13), welche die Stadt einem potentiellen Besucher auf Anfrage zuschickt. Die seit 1985 wieder gestiegenen Übernachtungszahlen beweisen, dass sich die Attraktivität der Stadt als Urlaubsort erhöht hat, nachdem man 1984, bei einer Übernachtungszahl von 4.681, kaum noch von einem Fremdenverkehrsort sprechen konnte.
Eine wesentliche Veränderung hat sich in der Aufenthaltdauer der Gäste vollzogen. Blieben die Urlauber 1970 noch durchschnittlich 17,6 Tage, d.h., es befanden sich viele Langzeiturlauber unter ihnen, so betrug die Aufenthaltsdauer 1984 im Durchschnitt lediglich 2,4 Tage. Stromberg ist zu einem Ziel für Wochenendausflügler geworden. Die Gästezahl selbst hat sich dabei sogar von 2.341 (1970) auf 4.772 (1986) erhöht, wobei der Anteil der ausländischen Gäste von 113 (1971) auf 1182 (1986) stieg.
Nachdem sich die Stadt Stromberg 1987 für den Erhalt des Dörrebachtals entschieden hatte, stellte die Pollichia am 7.2.1979 bei der Bezirksregierung Koblenz (Obere Landespflegebehörde) einen Antrag auf Unterschutzstellung des Dörebachtales als Naturschutzgebiet. Dieses Mal war dem Antrag ein botanisches Gutachten des Frei-Laubersheimer Botanikers Blaufuß beigefügt. Über den Antrag war im Januar 1988, also 9 Jahre nach der Antragstellung, in Koblenz noch nicht entschieden worden.
Der Steinbruchbetrieb zog Anfang de 80-er Jahre die Konsequenzen und konzentrierte seine Abbautätigkeit auf den östlich des Guldenbachs gelegenen Hunsfelsen. Ferner beantragte er am 5.2.1981 eine Erweiterung des Steinbruches Gollenfels um 110m nach Westen, in Richtung Weinberger Hof. Der Ortsgemeinderat Dörrebach, auf dessen Gemarkung das neue Abbaugebiet liegt, stimmte der Verlegung zu.
Im Januar 1988 war von der Verbandsgemeindeverwaltung Stromberg zu erfahren, dass zur Zeit kein Antrag auf Abbau des Dörrebachtales vorliegt. Gleiches teilte auch die zuständge Abteilung der Kreisverwaltung in Bad Kreuznach im November 1987 mit. Es ist jedoch fest damit zu rechnen, dass in einigen Jahren, wenn die Kalksteinlager in den jetzigen Abbaufeldern ausgebeutet sind, ein solcher Antrag ein weiteres Mal gestellt werden wird. Ob den Stromberger Stadträten dann bewusst sein wird, dass sie, falls sie ihre Haltung unter dem zu erwartenden wirtschaftlichen Druck ändern sollten, nicht nur dem Fremdenverkehr ihrer Stadt einen entscheidenden Rückschlag versetzen, sondern auch eine einmalige Naturschöpfung vernichten würden?
Vorschläge zur Problemlösung
Fußnoten:
1: siehe Tabelle 38
2: siehe auch die Kapitel 2.2.2.1, 2.2.2.2, 2.2.2.4, 2.2.2.6, 2.2.2.7
3: siehe auch Kapitel 2.3.2.2
4: siehe Abbildung 149
5: siehe Abbildung 148
6: Das Dörrebachtal dient bei Westwindlage als Frischluftschneise für die Stadt Stromberg.
7: Das Haus Obentraut liegt am Austritt des Dörrebachtales ins Guldenbachtal.
8: Der Hunsfelsen liegt östlich des Guldenbachs.
9: Telefonische Mitteilung von Herrn Böhmer (Stadtverwaltung Stromberg) vom 19.1.1988.
10: siehe Tabelle 39
11: Gesamtbettenzahl der Stadt Stromberg am 1.1.1988: 134
(Unterkunftsverzeichnis der Verbandsgemeinde Stromberg, Stand: Januar 1988)
12: Einwohnerzahl am 31.12.87 der Stadt Stromberg 2.639 und der Verbandsgemeinde
ca. 8.700 (telefonische Mitteilung der Verbandsgemeindeverwaltung Stromberg vom
19.1.88).
13: Sie enthält neben dem neusten Unterkunftverzeichnis Hochglanzbroschüren zur
Geschichte Strombergs und der zur Verbandsgemeinde zählenden Dörfer, zu den
Kulturhistorischen Sehenswürdigkeiten der Umgebung sowie einen Gaumenführer, der
bereits einem kleinen Kochbuch gleicht. Ein Führer zu den naturhistorischen
Sehenswürdigkeiten und den biologischen Besonderheiten des Stromberger Raumes fehlt
jedoch.
Tabelle 39
Die Entwicklung des Fremdenverkehrs in Stromberg
Jahr |
Gäste |
Übernachtungen |
1951 |
176 |
1.652 |
1952 |
891 |
7.829 |
1953 |
1.289 |
8.905 |
1961 |
1.513 |
23.134 |
1962 |
1.705 |
25.013 |
1963 |
1.382 |
22.436 |
1970 |
2.341 |
41.206 |
1971 |
2.747 |
32.982 |
1975 |
2.078 |
22.285 |
1979 |
2.553 |
18.306 |
1980 |
3.518 |
19.205 |
1984 |
1.985 |
4.681 |
1985 |
3.137 |
6.893 |
1986 |
4.772 |
16.041 |
Quelle:
Statistisches Landesamt Rheinland-Pfalz, 1971, 1972, 1976, 1980, 1981, 1985, 1986, 1987.
Die Angaben für 1951-1963 wurden vom Statistischen Landesamt in Bad Ems freundlicherweise aus Archivmaterial zusammengestellt. Diese älteren Daten geben nur die Übernachtungszahlen der jeweiligen Sommerhalbjahre (April-September) wieder. Nach Meinung von Herrn Sauer (Statistisches Landesamt Rheinland-Pfalz) sind die Fremdenverkehrszahlen für das Winterhalbjahr im allgemeinen vernachlässigbar gering (schriftliche Mitteilung vom 19.1.1988). Somit können sie unter einem gewissen Vorbehalt mit den neueren Daten verglichen werden.