HELMUT HOPSTÄTTER
Die Höhlenbewohner von Stromberg
Herausgeber: Hunsrückverein, Bernkastel-Kues (vermutlich 1965)
Gegenüber vom Bahnhof in Stromberg liegt der Hunsfels. Ein mächtiger Steinbruch nimmt hier unseren Blick gefangen. Terrassenförmig erstrecken sich seine Abbauzonen über die ganze Höhe der Talwand. Kalkstein wird hier gebrochen. Flächenmäßig ist das hier anstehende Kalkvorkommen unbedeutend. Etwa 2 km erstreckt es sich von West nach Ost. Seine Nord-Süd-Ausdehnung reicht über 600 m nicht hinaus. Wie in allen Kalkgebieten gibt es auch im Stromberger Kalk Höhlen. Das auf den Schichtfugen und Klüften des Gesteins zirkulierende Wasser hat durch Auflösung des Kalkes die Hohlen geschaffen. In den Höhlen des Hunsfelsens hat man neben Tierresten mannigfache Spuren des Vorzeitmenschen entdeckt. Um die Bergung und Konservierung der Funde hat sich insbesondere du verstorbene Direktor des Kreuznacher Heimatmuseums, Karl Geib, verdient gemacht.
Aus dem "Hunsloch" stammt der Schneideteil einer Arbeitsaxt aus Stein. Der Fund gehört der Jungsteinzeit an. Irgendwelche Begleitfunde wurden nicht getätigt). Man könnte hier an eine Opfergabe denken.
Im Gefolge des Steinbruchbetriebes am Hunsfelsen wurden jedoch vor dem Ersten Weltkrieg zwei Höhlen freigelegt, die einwandfreie Spuren einer Besiedlung aufwiesen. Die beiden Höhlen lagen übereinander. Die obere war mit der unteren durch einen engen Gang verbunden, den man nur kriechend passieren konnte. Die obere Höhle erwies sich als Wohnhöhle, wahrend die untere Bestattungsraum war. In der oberen Höhle lag auf größeren und kleineren Kalksteinbrocken eine etwa 20 cm mächtige Kulturschicht. In und auf der Kulturscbicht lagen zahlreiche, zum Teil angekohlte Tierknochen, darunter solche von Rind und Schwein. Dazu kamen rote und schwärzliche Topf scherben, Bronzefragmente, Bronzeringe, ein geschliffenes Steinbeil aus Basalt, ein zugeschärfter Rippenknochen, ein eisernes Beil und eiserne Messer. Die Bestimmung der übrigen Tierknochen durch Geib ergab folgende Arten: Edelhirsch, Wildschwein, Wildkatze, Kaninchen, Feldspitzmaus, Feldmaus, Waldmaus und Wasserratte. Edelhirsch und Wildschwein kamen als Jagdwild in die Höhle, während die übrigen Tiere als Beute größerer Säuger in die Höhle eingeschleppt wurden, als diese von den Menschen bereits verlassen war.
Der Kalksinter der Höhle barg an weiteren interessanten Funden die Abdrücke eines Buchen- und eines Eichenblattes. Dazu kamen die Gehäuse von 12 Schneckenarten, darunter manche in großer Zahl. Als zahlreich vertreten gibt Geib leider nur die Weinbergschnecke an. Die Schneckenfauna vermag uns einen Hinweis zu geben auf das damalige Klima der Stromberger Gegend. Folgende Arten waren nach der Bestimmung von Geib vertreten t):
1. Hyalinia cellaria Müll.
Nach Brohmer, Fauna von Deutschland
2. Patula rotundata Mull.
3. Helix obvoluta Müll.
4. Helix incaroata Müll.
5. Helix strigella Drap.
6. Helix lacipidia L.
7. Helix ericetorum Miill.
8. Helix nemoralis L.
9. Helix pomatia (Weinbergschnecke)
10. Buliminus detritus Müll.
11. Clausilia laminata Mont.
12. Clausilia spec.?
Auf trockenen, warmen Hängen der Kalkberge leben Xerophila ericetonum und Buliminus detritus. Die erste Art ist ursprünglich im feuchtwarmen ozeanischen Küstengebiet beheimatet. Buliminus ist im westlichen Mittelmeergebiet zu Hause. Beide waren damals schon bei uns eingewandert. Wärmere, trockenere Lagen liebt ferner Euomphalia strigella, während Patula rotundata an Baumstümpfen, feuchtem Holz und unter Steinen lebt. Wald und Gebüsch lieben Monacha incarnata und Clausilia laminata. Auf feuchtem Wald- und Wiesenboden ist Hyalinia cellaria zu Hause. In Gärten, seltener in Wäldern, begegnet uns Cepaea nemoralis. Die allbekannte Weinbergschnecke lebt im Gebüsch und in lichten Wäldern. Im Berg- und Hügelland, an Felsen und unter Steinen leben Helicodonta obvoluta und Chilotrema lapicida. Auch Clausilia laminata liebt bemooste Felsen. Von der in der Höhle am Haunsfels fossil aufgefundenen Schneckenfauna kommen nach R. Schmitt in der Stromberger Gegend heute noch vor: Buliminus detritus, Chilotrema lapicida, Xerophila ericetorum, Cepaea nemoralis, Clausilia laminata, Patula rotunda, Hyalinia celarria, helix pomatia.
Und hier noch einmal die fossile Schneckenfauna in tabellarischer Übersicht:
Art |
Lebensraum |
Xerophila ericetorum |
trockene, warme, kurzrasige Hänge, fast nur auf Kalk |
Buliminus detritus |
trockene, warme Lagen der Kalkberge |
Euomphalia strigella |
wärmere, trockenere Lagen |
Monacha incarnata Clausilia laminata |
Wald und Gebüsch |
Hyalinia celarria |
feuchter Wald- und Wiesenboden |
Helix pomatia (zahlreich vertreten) |
gebüsch und lichte Wälder |
Cepaea nemoralis |
Gärten, seltener in Wäldern |
Heliconda obvoluta Chilotrema lapicida |
Berg- und Hügelland, unter Steinen, feuchtem Holz, an Baumstämmen |
Patula rotunda |
an Baumstämmen, unter feuchtem Holz und dergl. |
Die Schneckenfauna läßt erkennen, daß das damalige Klima sich kaum unterschied vond em heutigen Klima der Stromberger Gegend, das wir als stark gemäßigstes Mittelgebirgsklima ansprechen können, reltiv sonnig und windgeschützt, mit verhätlnismäßig milden Sommern. Die auf trockenen, warmen Hängen und in lichten Wäldern lebenden Schneckenarten bezeugen garüber hinaus, daß der Wald damals keineswegs als dichter Urwald das ganze Gebiet überzog, und daß es damals wie heute in der Stromberger Gegend warme, waldlose Hänge gab.
Die untere der beiden Höhlen war Bestattungsraum. in ihr befanden sich die Skelette zweier Erwachsener und zweier Kinder. Skelettfunde aus Gräbern mit Ganzbestattungen sind im Hunsrück aus dieser Zeit nicht üblich. Hier hat jedoch das in den Höhlen zirkulierende Wasser infolge seines hohen Kalkgehaltes die Skelette konserviert. Leider konnten die anthropologisch wertvollen Skelette nicht geborgen werden, da sie stark versintert waren. Schumacher weist zwar auf Schädel aus der Höhle von Stromberg im Kreuznacher Museum hin'). Die Mitteilung Schumachers muß jedoch auf einem Irrtum beruhen. Als Beigaben erwähnt Geib große und kleine Ringe, Ohrringe und Fibeln. Bemerkenswert ist ein Ohrring mit einem runden, gläsernen Anhänger. Ein im Raume des Hunsrücks in seiner Art ungewöhnliches Schmuckstück ist ein Halsreif aus Bronzeblech, dessen Verschluß hergestellt wurde durch Einstecken des einen, konisch zulaufenden Endes in das andere hohle Ende der Ringes. Der Ring weist außerdem eine alte Flickstelle auf. In der Mitte war der Ring auseinandergebrochen. Der antike Bronzeschmied hatte ihn wieder repariert. Nebenbei weist die Flickstelle auf den hohen materiellen Wert eines solchen Schmuckstückes hin. Andernfalls wäre es der Besitzerin sicherlich nicht schwergefallen, das schadhafte Stück durch ein neues zu ersetzen. Zum Grabinventar gehören weiter 12 quergestrichelte Unterarmringe aus Bronze. Die Art der Beigaben ermöglicht eine zeitliche Datierung dar Bestattung. Das Grab gehört der Spät-Hallstattzeit an, der Zeit etwa zwischen 550 und 450 v. Chr. In Mitteleuropa unterscheiden wir in dieser Zeit mehrere Kulturkreise. Das Kulturinventar der Stromberger Höhle gehört der Hunsrück-Eifel-Kultur I an, die den Hunsrück, den Naheraum und die südliche Eifel umfaßt. Dar Volkstum der Menschen der Hunsrück-Eifel-Kultur darf als keltisch angesprochen werden.
Obwohl unter den Knochen der Stromberger Höhle Rind und Schwein vertreten sind, dürfen wir in den Höhlenbewohnern von Stromberg keine Weidebauern sehen. Schumacher ist wohl beizupflichten, wenn er in den Höhlenbewohnern der Bronze-, Hallstatt- und Latènezeit Westdeutschlands Jäger und Hirten vermutet. In Island dienen noch heute natürliche Höhlen Hirten und den Tieren ihrer Herde als Zufluchtsort. Wir werden deshalb kaum fehlgehen, wenn wir in den Bewohnern der Stromberger Höhlen Wanderhirten sehen, die nur für eine bestimmte Zeit die Höhlen bewohnten und weiterzogen, wenn die Ernährungsbasis für ihre Tiere zu schmal wurde. Als Wanderhirten dürften sie einer sozial tieferstehenden Schicht der damaligen Bevölkerung angehört haben.
Wenn die Höhlenbestattung innerhalb des Hunsrücks auch zu den Seltenheiten gehört, so ist diese Art der Bestattung und darüber hinaus die Art der Behausung für die Vorzeit durchaus nicht ungewöhnlich. In der Altsteinzeit war die Höhle während der kalten Jahreszeit bevorzugter Wohnraum. Hier wurden nicht selten auch die Toten bestattet. Die Aurignacien-Leute bestatteten ihre Toten sogar mit Vorliebe in Höhlen. Häufig wurde der Tote in der Wohnhöhle beigesetzt, in manchen Fällen auf dem aus Steinen aufgemauerten Herd oder in unmittelbarer Nachbarschaft desselben. In der Vorstellung des vorgeschichtlichen Menschen lebt der Tote, wenn auch verwandelt, weiter ganz nach der Art der Lebenden. Er bedarf der Speise und des Trankes, seines Schmuckes und seiner Waffen. Vor allem benötigt er eine Wohnung. Dieser für die vorzeitliche Bestattung so charakteristische "Hausgedanke" wird aus der Altsteinzeit übernommen in alle weiteren vorgeschichtlichen Epochen bis tief in die Geschichte hinein. Angehörigen der gehobenen Schichten errichtet man häufig ein regelrechtes Totenhaus. Für den östlichen Hunsrück ist ein solches Totenhaus nachgewiesen im Häuptlingsgrab des Beller Friedhofs. Im Mittelmeergebiet bleibt die Hohle bevorzugter Bestattungsraum bis in die geschichtliche Zeit hinein. Auch Christus wurde bekanntlich in einer Höhle beigesetzt. In Matthäus 27, Vers 59 und 60 lesen wir: "Und Joseph (gemeint ist hier Joseph von Arimathia) nahm den Leib und wickelte ihn in reine Leinwand und legte ihn in sein eigenes neues Grab, welches er hatte lassen in einen Felsen hauen, und wälzte einen großen Stein vor die Tür des Grabes und ging davon." Von der Höhle als ältestem Bestattungsraum konnte sich der Bestattungsritus der Vorzeit nie ganz lösen. Dies bezeugen u. a. neben der Stromberger Höhlenbestattung andere Höhlenbestattungen derselben, aber auch älterer und späterer Zeit im westdeutschen Raum. In der Höhle bei Erdbach nahe Herborn wurden mehrere Skelette gefunden. Die Beigaben (gelappter Wendelring, eiserner Halsring, mehrere Ohrringe mit Glas- und Bernsteinperlen, Bronzenadel, Tonscherben) lassen eine zeitliche Gleichstellung mit der Stromberger Höhlenbestattung erkennen. Ebenfalls Funde der Späthallstattzeit kamen in Höhlen des Hönnetales (Kreis Iserlohn) zutage neben Funden aus der Bronze- und der Spätlatènezeit. In der Einhornhöhle im Harz lag das Skelett einer Frau mit Beigaben des Frühlatène. Auch in der durch ihre altsteinzeitlichen Funde bekannt gewordenen Kartsteinhöhle in der Eifel entdeckte man Spuren der Mittellatènezeit.
Die unmittelbare Nachbarschaft von Wohn- und Bestattungsraum läßt erkennen, daß hier weniger die Furcht vor den Toten als vielmehr eine innere Bindung an sie vorlag. Damit soll nicht gesagt werden, daß im Menschen der Vorzeit nicht auch das Gefühl der Furcht vor dem Toten aufkam, ist doch gerade die Ambivalenz der Gefühle charakteristisch für unser Verhältnis zu den nächsten Angehörigen. Die Furcht trat jedoch hier weit zurück hinter eine uns völlig fremd anmutende Bindung an die Toten. Im anderen Falle wäre die Grabstätte nicht durch einen offenen Gang mit der Wohnung der Lebenden verbunden gewesen. Darüber hinaus gibt es in der Vorzeit zahlreiche weitere Indizien für eine uns unverständliche Bindung an die Toten. Unser Verhältnis zum Sterben und zu den Toten ist ein völlig anderes als das des Menschen jener frühen Zeit. Eine unüberbrückbare Kluft trennt uns hier von unseren Ahnen in der Vorzeit. Für den Christen zerfällt der Leib nach dem Tode zu Staub, während die Seele entflieht in ein fernes, unerreichbares Jenseits. Mit den Grabstätten seiner Angehörigen verbindet den Christ die Pietät. Für den Menschen der Vorzeit ist der Verstorbene nicht wesenhaft tot in unserem Sinne. Er lebt, wenn auch verwandelt, weiter. Er bleibt auf der Erde in der Nähe der Lebenden, wird von ihnen im Bilde gescheut, bald als Person, aber auch verwandelt als Tier, Baum oder Stein. Verwandlungen lebender Wesen sind ja für den Primitiven nichts Ungewöhnliches. Für ihn verbirgt sich die existierende Welt hinter einer beseelten, von magischen Kräften beherrschten Welt. In unseren Märchen lebt diese eigentümliche, uns fremde Art des Welthabens der frühen Menschheit fort. Dieses Schauen des Verstorbenen geschah nicht nur im Traum, sondern auch im Wachzustand. Wir dürfen mit Recht annehmen, daß das Wachsein des damaligen Menschen noch stark mit Traumelementen durchsetzt war.
Leben und Tod waren für den Menschen dieser Entwicklungsstufe eine untrennbare Einheit. Ihn quälte noch nicht die für uns so bezeichnende dialektische Spannung zwischen Leben und Tod. Reste dieses uralten Verhältnisses zum Tode und zu den Toten leben heute noch fort in der katholischen Kirche und in den Werken unserer Dichter. Nicht der Christ, sondern der vorzeitliche Heide in ihm läßt Hermann von Gilm vom Allerseelen-Tag schreiben:
"Es blüht und duftet heut' auf jedem Grabe.
Ein Tag im Jahre ist den Toten frei.
Komm an mein Herz, daß ich dich wieder habe
Wie einst im Mai."
Vom gleichen Geiste inspiriert dichtet Conrad Ferdinand Meyer:
"Wir Toten, wir Toten sind größere Heere
Als ihr auf der Erde, als ihr auf dem Meere.
Und was wir an gültigen Sätzen gefunden,
dran bleibt aller irdische Wandel gebunden.
Und unsere Töne, Gebilde, Gedichte
erkämpfen den Lorbeer im sterblichen Lichte.
Wir suchen noch immer die menschlichen Ziele.
Drum ehret und opfert! Denn unser sind viele."
Vorzeitlich-heidnisch empfindet Hugo von Hofmannsthal den Tod als unlösbar zum Leben gehörig. Großartig kommt dieses heidnisch rauschhafte Verhältnis des Dichters zum Tode in den Worten seines Einakters "Der Tor und der Tod" zum Ausdruck:
"Wirf dies ererbte Grauen von dir!
Ich bin nicht schauerlich, bin kein Gerippe!
Aus des Dionysos, der Venus Sippe,
ein großer Gott der Seele steht vor dir!" 7)
Die innere Bindung des Vorzeitmenschen an die Toten führte zur Ahnenverehrung. Bei den Bewohnern der Stromberger Höhlen dürfen wir Ahnenverehrung annehmen. Des Schutzes und des Beistandes der Ahnen will der Lebende sich versichern durch das Bestattungsritual und durch Opfergaben an der Grabstätte. Wir wissen, daß die römische Religion aus der Ahnenverehrung hervorgegangen ist. Welche Rolle die Ahnenverehrung bei den Chinesen gespielt bat und heute noch spielt, ist allgemein bekannt. Zu den Wurzeln der keltischen Religion dürfte ebenfalls die Ahnenverehrung gehören. Nach Oelmann standen die späteren keltischen Götter einer vorhergehenden Stufe des Ahnenkultus noch recht nahe. Darauf weisen die Namen in ihrer großen Mannigfaltigkeit hin, insbesondere Namen wie Mars Albiorix, Caturix und Latobius, die als Stammesheroen der Albici, Caturiges und Latobici anzusprechen sind. Auch das Auftreten von Personennamen als Götternamen bei den Kelten legt den Gedanken ursprünglicher Ahnenverehrung recht nahe. So tritt der Göttername Creto auch als gallischer Personenname auf in der gleichwertigen Schreibweise Creto, Cretto und Cretio. Die Schreibweise Creto finden wir in einer oberitalienischen Inschrift. Cretto ist belegt durch gallische Töpferstempel. Auch der im Altbachtal bei Trier bezeugte Göttername Aveta tritt als Personenname auf, ebenso der Name des gallischen Gottes Sucellus.
Literatur
9. F. B. Keune, Weiheinschrift vom Stumpfen Turm, Trierer Zeitschrift, 1927, 2. Jg.